Das Food Innovation Dinner war ein Gipfeltreffen der Food-Vorreiter
Wenn das Food Innovation Camp, das Food Service Innovation Lab und der Food Campus Berlin gemeinsam zu einem Dinner einladen, dann steht die Zukunft unserer Ernährung auf der Speisekarte. Und wenn rund 30 Expertinnen und Experten aus Startup-Welt, Gastronomie, Politik, Wissenschaft, Investment und Medien zusammenkommen, dann ist die Vielfalt der angesprochenen Themen schier überwältigend.
Das Food Innovation Camp ist vieles: eine führende Messe für Food-Innovationen natürlich, ein Türöffner für Startups in Handel und Gastronomie und nicht zuletzt ein weit umspannendes Netzwerk, dass Menschen aus den unterschiedlichsten Branchen zusammenbringt, die eines gemeinsam haben: den Willen, den Ernährungswandel voranzubringen. Und besonders gut Netzwerken lässt es sich bekanntlich bei einem guten Essen. Das war die Idee hinter dem Food Innovation Dinner, das wir vergangene Woche zum ersten Mal durchgeführt haben. Die Reise ging dafür nach Berlin.
Eine Institution in Berlin ist das Kulturkaufhaus Dussmann. Es bietet auf fünf Etagen ein riesiges Angebot an Büchern, CDs, LPs, DVDs und eigentlich allem, was die Medienwelt zu bieten hat. Wer den großen Verkausraum im Erdgeschoss durchquert, steuert unweigerlich zu auf eine Treppe hinunter zu einer weiteren Attraktion: das Restaurant Ursprung. Dort springt sogleich eine beeindruckende grüne Wand ins Auge. Doch erst auf den zweiten Blick wird klar, dass sich dabei um einen viele Meter hohen vertikalen Garten handelt, in dem auf 270 Quadratmetern über 6.000 tropische Pflanzen wachsen.
Die Speisekarte war an der Planetary Health Diet ausgerichtet
Außergewöhnlich ist auch das Speisenangebot. Es richtet sich aus an den Empfehlungen der Planetary Health Diet. Das ist ein von der Wissenschaft entwickelter Ernährungsplan, der sich mit der Frage beschäftigt, wie in Zukunft 10 Milliarden Menschen gesund und nachhaltig ernährt werden können. Die Antwort lautet: zum größten Teil mit pflanzlichen Produkten. Dementsprechend setzte sich das Menü des Dinners aus einer Reihe von Gerichten zusammen, zu denen Startups wesentliche Zutaten beisteuerten, die pflanzliche Alternativen entwickelt haben. So enthielt der Döner den Kebab aus Erbsenprotein von planted., der Salat Nicoise die Thunfisch-Alternative von BettaF!sh und der Pfannkuchen Ei-Ersatz von Perfeggt. Der pflanzliche Mozzarella von Vanozza stand ebenfalls auf dem Speiseplan.
Sieht so die Gastronomie der Zukunft aus? Ja, zumindest, wenn es nach dem Food Service Innovation Lab geht, dessen Ausängeschild das Ursprung ist. Gründer Christian Hamerle, einer der Gastgeber des Abends, denkt in großen Dimensionen, denn eine echte Veränderung kann es erst dann geben, wenn nicht nur das hippe Berliner Szenelokal seine Speisekarte auf pflanzlich umstellt, sondern auch die ganz normale Firmenkantine. Umdenken ist auch bei so manchem Startup gefragt, dass sich momentan beim Versuch, den Lebensmitteleinzelhandel zu erobern, die Zähne ausbeißt. Im LEH herrscht gerade ein erbitterter Preiskampf, in dem Neueinsteiger unterzugehen drohen. Dafür öffnen sich im Foodservice neue Möglichkeiten, die Bereitschaft für Innovationen ist dort so groß wie nie.
Was die Politik tun kann
Mit gutem Beispiel vorangehen könnte die Bundesregierung. Dort gibt es die Bestrebung, das Angebot an veganen und vegetarischen Gerichten in den Kantinen der Ministerien deutlich auszuweiten. Die Politik, beim Dinner vertreten durch Renate Künast (ehemalige Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz), Michael Biel (Staatsekretär für Wirtschaft in Berlin) und Christopher Verlage (Fraktionsreferent Ernährung und Landwirtschaft der CDU/CSU im Bundestag), spielt überhaupt eine wichtige Rolle für die Zukunft der Ernährung. Besonders deutlich wird das bei dem komplexen Thema Novel Food.
Intensiv damit beschäftigen muss sich beipielsweise Sebastian Rakers, Gründer von Bluu Seafood. Vereinfacht gesagt, beinhaltet die Novel Food-Verordnung der EU, dass Lebensmittel oder ihre Produktionsverfahren, die vor 1997 in Europa nicht üblich waren, eine langwierige Zulassung durchlaufen müssen. Auch Bluu Seafood fällt in diese Kategorie, denn das Startup stellt zellbasierten Fisch her und bedient sich dabei modernster Technologien. Seinen Markteintritt wird es aber nicht auf seinem Heimatkontinent vornehmen können, sondern in Asien. Besonders der Stadtstaat Singapur ist hier Vorreiter. Damit Europa in diesem wichtigen Innovationsbereich den Anschluss nicht verliert, sollten der Genehmigungsprozesss zumindest vereinfacht und beschleunigt werden.
Wandel durch Bildung
Auch Bildung ist ein Thema, das im Zusammenhang mit kultivierten Produkten eine wichtige Rolle spielt. Begriffe wie „Laborfleisch“ und die falsche Vermutung, dahinter könnten gentechnische Manipulationen stecken, wirken auf viele abschreckend. Dabei ist Fleisch aus der Zellkultur genauso natürlich wie das von echten Tieren und enthält keine Zusatzstoffe, im Gegensatz zu so manchem veganen Ersatzprodukt. Der Bildungsauftrag geht aber noch viel weiter. Es gilt das Bewusstsein zu schärfen, dass Verzicht auf tierische Ernährung kein Verzicht auf Geschmack und Genuss ist und zudem ein wichtigen Beitrag zu Umwelt- und Klimaschutz leisten kann. Ganz auf Fleisch muss bei der Planetary Health Diet sowieso niemand verzichten; auch beim Food Innovation Dinner gab es ein Rindergulasch.
Wäre es nicht ein Traum, einen Ort zu schaffen, an dem die angesprochenen und viele weitere Food-Innovationen ihren Plätz hätten? Diesen Traum wahrmachen möchte Jörg Reuter, der dritte Gastgeber des Abends. Sein Food Campus Berlin soll ein solcher Ort werden. Hier werden Wissenschaft und Wirtschaft, Startups und Corporates, Gastronomie, Landwirtschaft und Produktentwicklung zusammenkommen, um die Zukunft der Lebensmittel zu gestalten. So zumindest lautet der Plan. Die Baugenehmigung für das Gelände in Berlin-Tempelhof ist längst erteilt und die Finanzierung gesichert. Wenn nichts dazwischen kommt, was in diesen Zeiten leider niemand garantieren kann, wird der Food Campus Berlin 2025 Realität sein.
Auf jeden Fall garantieren können wir, dass dieses Food Innovation Dinner nicht das letzte seiner Art gewesen sein wird. Die zahlreichen inspirierenden Gespräche mit ihren mannigfaltigen Themen verlangen nach Fortsetzungen und werden sicherlich auch bei unserem Food Innovation Camp am 22. Mai einen Widerhall finden. Ganz nebenbei hat das Dinner auch gezeigt, dass sich Hamburg und Berlin, angeblich Rivalen in der Startup-Welt, ausgezeichnet vertragen und ergänzen.