Interview mit Food Innovator Fabio Ziemssen
Wer sich in der Food-Startup-Welt tummelt und für innovative Themen interessiert, der kennt ihn: Fabio Ziemssen. Vielreisender Experte für Food Innovationen, Netzwerker, nun auch Lobbyist für alternative Proteinquellen in dem von ihm mitbegründeten Verband BALpro e.V. Fabio hilft nicht nur dabei, innovativen Food-Startups den Weg in den Handel und in die Gastronomie zu bahnen sondern weiß auch ohne Glaskugel, wie sich unsere Ernährungsweisen in Zukunft ändern werden. Er ist der erste Ansprechpartner, wenn es um Innovationen im Agri- und Food-Tech Bereich geht. Als Mitglied des Food Innvation Camp Freundeskreis und Bühnenhost beim diesjährigen Camp am 15. Juni haben wir mit Fabio mal über In-Vitro-Fleisch und pflanzenbasierte Fleischalternativen gesprochen.
Fabio, toll, dass du dir Zeit für uns nimmst! Stelle dich bitte kurz vor!
Ich bin Fabio Ziemssen, 34 Jahre alt, wohne in Düsseldorf und bin als Director Food Innovation verantwortlich für NX-Food, den Innovations Hub der METRO AG. Wir scouten nach neuen Food-Technologien, -Lösungen und -Konzepten, validieren diese und matchen diese dann mit Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit den Vertriebslinien der METRO, den zentralen Abteilungen der METRO aber auch externen Partnern. Dabei haben wir ganz klar den Fokus, die verschiedenen Themen nicht nur aus der Handelsperspektive zu betrachten sondern auch aus der Gastronomie- und Industrieperspektive. Will heißen, wir interessieren uns für 360-Grad-Food-Lösungen, die das Potenzial haben, das Lebensmittelsystem zu verändern.
Außerdem bin ich Mitgründer des Super7000 einem Coworking Space in Düsseldorf, und seit diesem Jahr Vorstandsvorsitzender des neuen Bundesverbandes für alternative Proteinquellen, BALpro e.V.
Das klingt nach einem vollen Terminplan! Erzähle doch bitte mal kurz, was man als Startup oder Partner gemeinsam mit NX-Food erleben kann und was deine konkreten Aufgaben in dem Innovations Hub sind?
Das Startup-Programm von NX-Food ist im Grunde genommen ein Marktvalidierungs-Programm oder auch ein Go-to-Market-Tool, mit dem wir Start-ups ermöglichen wollen, über verschiedene Vertriebskanäle in den Markt zu kommen und das Marktumfeld zu testen. In der Vergangenheit hatten wir hierbei Vertriebspartner wie z.B. Eurowings oder auch Real als Einzelhändler. In Zukunft ist das Programm mehr auf Gastronomie und die Großhandelssparte ausgerichtet.
Daher prüfen wir ganz klar welche Großhandelskunden könnten für die Startups relevant sein und testen so verschiedene Marktgegebenheiten. Das machen wir in Form eines Programms, aber auch in Form von einzelnen Projekten. So haben wir unter anderem den Markteintritt von Plumento Foods , Wisefood und zahlreiche andere internationale Unternehmen wie Beyond Meat, Moving Mountains Burger oder auch Gold&Green unterstützt.
Aber auch das Thema Vertical Farming hat bei uns sehr früh ein Zuhause gefunden, indem wir beispielsweise die Konzepte von Infarm und Natufia im Gastro- oder auch Retail-Bereich getestet haben .
Im Rahmen des FIC2019 im letzten Jahr hat NX-Food gemeinsam mit den Kitchen Guerillas ,Beyond Meat‘ in einem besonderen Tasting vorgestellt. Wie konnte ein pflanzlicher Burgerpatty so einen Hype auslösen?
Das Unternehmen Beyond Meat hat sicherlich nicht nur dadurch für großes Aufsehen gesorgt, dass sein Börsengang einer der erfolgreichsten der letzten zehn Jahre gewesen ist. Das Unternehmen hat sich auf den Massenmarkt spezialisiert, eine Zielgruppe, die von den vegetarisch und vegan ausgerichteten Unternehmen bisher kaum oder nicht stark genug adressiert worden ist. Sie sind mit einem Produkt an den Markt gegangen, das den Anspruch hat, in Geschmack und Textur einem klassischen Burgerpatty in keinerlei Hinsicht nachzustehen.
Und natürlich wurde das Unternehmen durch eine große Marketing- und Testimonial-Kampagne befeuert, was den Erfolg weiter begünstigt hat. Viele fragen sich aber, was die Besonderheit am Beyond Burger ist? Vegane und vegetarische Produkte sind doch schon lange am Markt. Der Punkt ist: Dieser Burger will erreiche, dass selbst der fleischliebende Konsument den Unterschied kaum noch erkennen kann.
Herausstechend ist heutzutage auch, dass das Thema pflanzliche Fleischalternativen nicht mehr ausschließlich auf dem Rücken der Tierwohl-Diskussion stattfindet, sondern vielmehr durch individuelle Entscheidungsprozesse getragen wird. Getriggert wird es durch ein sich veränderten Ernährungsverhalten der Konsumenten, die zunehmend den Anspruch haben, sich gesünder zu ernähren. Sie assoziieren ‚gesund‘ -mit dem Verzicht auf tierische Proteine und dem bewussten Konsum von Pflanzenproteinen.
Du hast kürzlich den Verband BALpro e.V. für alternative Proteinquellen mitgegründet. Warum bedarf es so eines Verbands und wer ist da aktiv?
Wir haben den Verband gegründet, weil der Bereich der alternativen Proteinquellen ein neues Themenfeld ist, das ganz andere Akteure an einen Tisch bringt. Hier finden sich nicht nur Unternehmen, die aus der klassischen Lebensmittebranche kommen, sondern auch Unternehmen aus der Chemie- und Pharma-Branche, die ursprünglich eher als Zulieferer der Lebensmittelbranche agieren.
Wir adressieren als Verband die Akteure in drei thematischen Bereichen: pflanzenbasierte Proteinquellen, insektenbasierte Proteinquellen und lab-based bzw. kultivierte Proteinquellen, bei denen man von Molekular-Biotechnologien spricht.
Wir haben den Anspruch, das Thema nicht mittels einer ideologisch geführten Diskussion voranzutreiben, sondern es rein innovations-, zukunfts- und technologiebezogen zu betrachten und zu gestalten. Wir sprechen uns also für Technologien und Alternativen aus, die das bestehende System ergänzen und verbessern können.
Dafür war es nötig eine Interessensplattform aufzubauen, die wir letztlich mit dem Verband ins Leben gerufen haben. Mittlerweile haben wir 70 Mitglieder. Darunter sind Start-ups, Venture- Capital-Unternehmen, aber auch etablierte Unternehmen aus dem Pharma-Bereich oder der klassischen Lebensmittelindustrie.
In der Studie zu Fleisch-Alternativen von ATKearney, in der du mitgewirkt hast, findet man hauptsächlich Startups aus dem Ausland, die sich mit In-Vitro-Fleisch (IVF) oder gut finanzierten veganen pflanzlichen Fleischalternativen beschäftigen und mittlerweile mehrere Millionen Dollar Investments eingesammelt haben. Warum passiert so wenig in Deutschland?
Die Diskussion, warum wir in Deutschland so wenige Unternehmen aus dem Bereich In-Vitro- oder kultiviertes Fleisch haben, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass der Bereich starken Regularien unterliegt.
Zudem ist Fleisch aus dem Labor ein Bereich, der in den letzten Jahren in Deutschland eher agnostisch betrachtet worden ist. Das heißt, die Begrifflichkeit In-Vitro-Fleisch oder Laborfleisch ist per se nicht unbedingt konsumentenfreundlich, während die Begrifflichkeit Clean Meat (sauberes Fleisch), die in den USA gepflegt wird, zu deutlich mehr Offenheit auf der Konsumentenseite führt. Das zeigt auch, wo wir uns in der Diskussion zu diesem Thema befinden. Wir müssen erkennen, welches immense Potenzial in dieser neuen Technologie steckt. Dort liegt auch die Zukunft der Lebensmittel- und Fleischindustrie. Es besteht die Hoffnung, dass sich nicht nur Start-ups auf das Thema und die Lösungen dazu stürzen, sondern auch die Zuliefererbranche, die in Deutschland sehr groß ist. Genau dort sehen ich auch ganz klare Entwicklungen.
Ein Start-up, das sich im Dairy-Bereich (Milchprodukte) dem Thema gerade annimmt ist z.B. Legendairy Foods aus dem Company Builder „Atlantic Foodlabs“. Hier finden wir die Molekular-Technologien, mit denen neue Lebensmittel sprichwörtlich entworfen werden. Ansonsten sehen wir in Deutschland erst vereinzelt Start-ups, die sich das Thema bereits ganzheitlich anschauen, aber sich noch in einem sehr frühen Stadium befinden.
Welchen Herausforderungen stehen diese Startups gegenüber, wenn es um den Markteintritt in den USA und vor allem Europa geht?
Die Herausforderungen sind vor allem die Konsumenten und ihre Akzeptanz für im Labor kreierte Lebensmittel sowie das Problem, dass die Startups nicht die Erwartungen erfüllen, die im jetzigen Stadium ihren Produkten gegenüberstehen.
Soll heißen: wir müssen aufpassen, dass wir keinen überhitzen Markt kreieren. Ich habe schon mit einigen Marktexperten gesprochen, die auch an diesen Technologien arbeiten und die betrachten mit Sorge, wie viel Risikokapital in diesen Markt fließt. Die Befürchtung ist, dass die Erwartungen einfach zu groß sind, zahlreiche Technologien befinden sich noch in einem sehr frühen Stadium sind. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht dem gleichen Phänomen aufsitzen, wie wir es vom 3-D-Druck vor fünf Jahren kennen: Damals dachten viele, dass diese Technologie den Status quo disruptieren würde. Wenn wir es heute betrachten, sehen wir, dass es nur wenige Use-Cases gibt, die diese Kraft hatten.
Um noch mal auf die Herausforderungen mit den Regularien zu kommen: Gerade auf EU-Ebene sind diese nicht zu unterschätzen, denn sie bremsen die Skalierung dieser Lab-Technologien ebenfalls. Besonders, da einzelne EU-Ländern jeweils andere Vorgaben haben und somit eine Skalierung der neuen Produkte in verschiedene Länder erschwert wird.
Wie siehst du persönlich die Möglichkeiten der Skalierung von IVF Produkten auf eine bezahlbare Produktion und marktfähige Produktionsmenge?
Wir sind momentan noch in Größenordnungen unterwegs, die keine Vergleichbarkeit zwischen konventionellen und Start-up-Produkten ermöglicht. Die Skalierbarkeitwird sich erst mit der Weiterentwicklung der Technologien zeigen. Je weiter die Technologien sind, desto besser die Zuliefererstruktur ist, desto besser die Zuliefererprozesse sind und auch die Ressourcen zur Verfügung stehen, desto besser werden auch die Wachstumsmöglichkeiten sein.
Wenn es einmal so weit ist und wir den Tipping Point erreicht haben, die Produktnachfrage und die Produktqualität da sind, ist eine Skalierung möglich, die die Produkte markt- und wettbewerbsfähig macht.
Wie stark schätzt du die Konkurrenz am Markt dazu ein? Nicht nur Startups tummeln sich auf diesem Gebiet, auch große Konzerne haben da Ambitionen.
Im Moment widmen sich tatsächlich viele Unternehmen diesem Thema. Wir müssen schauen, dass die Unternehmen, die sich durchsetzen, auch die richtige IP haben. Sicherlich wird es aber auch viele strategische Kooperationen geben, wie z.B. Merck als Investor bei Mosa Meat oder PHW als Investor bei SuperMeat. Diese Kooperationen werden vorranging unterstützend wirken und den agierenden Unternehmen entsprechendes Backing und Support beim Wachstum geben.
Ein Blick in die Zukunft: Ernähren sich bald alle nur noch von Insekten-Burgern und fleischlosen Alternativen?
Ich habe leider keine Glaskugel im Keller, würde aber sagen, dass gerade in Hinblick auf Fleisch-Alternativen seit einiger Zeit ein Parallelleben stattfindet: Insekten-Food-Produkte haben es noch nicht auf den alltäglichen Ernährungsplan der Konsumenten geschafft. Anders sieht es aber mit zahlreichen anderen Alternativen aus. Man kann heute schon durch simple Ernährungsumstellung auf Fleischkonsum verzichten. Besonders im Bereich der Milchprodukte kann man schon auf zahlreiche Alternativen zurückgreifen.
Genauso wird es sich auch bald im Fleischbereich darstellen. Beyond Meat ist für die Branche auch deswegen ein Erfolg, weil der Hype um die Produkte desUnternehmens auch dazu geführt hat, dass viele Unternehmen sich dem Thema nun bewusst annehmen und alternative Lösungen entwickeln.
Wenn ich also eine Prognose wage, dann ist meine Tendenz ganz klar, dass wir immer mehr Flexitarier haben werden und dass Fleischkonsum eine wesentlich bewusstere Entscheidung sein wird – nicht nur auf Basis des Tierwohls, sondern auch auf Basis eines sich ändernden Gesundheits- und Umweltbewusstseins.
Als langjähriger Weggefährte und Mentor hast du das Food Innovation Camp von Anfang an begleitet. Wie siehst du die Entwicklung des Camps über die Jahre?
Für mich ist es mittlerweile ein Get-Together der ganzen Branche. Ich find es schön, dass viele Akteure zusammenkommen und offen diskutieren können. Es ist wie ein Familientreffen und es macht immer wieder Spaß, alle Leute an einen Tisch zu bringen, um die neuesten Trends und Entwicklungen besprechen zu können. Es freut mich, immer wieder Teil des Camps zu sein.
Auch die Arbeit in der FOOD AWARD Jury macht unheimlich viel Spaß, weil wir dort sehen, dass die Qualität der Bewerber*innen immer besser wird. Ich kann einfach nur sagen: tolle Arbeit an das Team! Ich freue mich auf viele weitere Jahre, in denen das Food Camp als Plattform wachsen wird, und den Ort bietet, an dem das Who-is-Who der Food-Generationen zusammenkommt.
Vielen Dank für das Interview!
Am 15. Juni startet wieder das Food Innovation Camp
Wer Fabio Ziemssen beim Food Innovation Camp 2020 wieder auf der Bühne in Aktion sehen will, der kann sich hier schon mal ein Ticket sichern! Bis zum 31. Januar gibt es noch Tickets zum Earlybird-Preis!